Aber was, wenn ich selbst mit zuhören manchmal überfordert bin?
Dann wäre es z.B. gut, wenn du dich jemandem anvertrauen könntest. Selbst Psychologen - und das sind ja nun wirklich Vollprofis im Zuhören - arbeiten nicht ohne Supervision. So nennt man das, wenn man mit einem Unabhängigen darüber reden kann, was man erlebt/gehört hat. Und solange keine Namen genannt werden ist das ja auch völlig okay.
Ich erlebe eine ähnliche Situation gerade in meiner Familie. Mein Vater ist der mit den Problemen, meine kleinen Schwestern sind die, die mit dem Zuhören des immer selben Problems überfordert sind. Sie stehen
gewaltig unter Druck, denn einerseits ist es der Vater, andererseits können sie sein Problem nicht lösen. Ihn zurückweisen kommt nicht in Frage, denn wie würde er dann reagieren? Andererseits bringt die Überforderung sie immer mehr in die Lage, daß sie froh sein können ihn mal nicht zu sehen. Aber dann kommt wieder das schlechte Gewissen (Wie kann ich froh sein wenn ich weiß, daß es ihm nicht gut geht?)
Ich versuche sie da ein bißchen aufzufangen. Sie wissen, daß ich immer da bin und grundsätzlich und vorbehaltlos auf ihrer Seite stehe. Und sie wissen auch, daß meine Meinung ist, daß er nicht das Recht hat seine Probleme auf sie abzuwälzen.
Ich weiß einfach nicht, wie ich reagieren kann / soll. Ob ich das überhaupt muss / darf.
Ja, das darfst du. Jemand der dich mag wird nicht wollen, daß du über deine Kräfte gehst. Und jemand, der das von dir erwartet ist es nicht wert, daß du es tust.
Das klingt hart, aber lehn dich mal zurück und stell dir vor, das wärest nicht du sondern eine Freundin. Dann würdest du das sicher ähnlich sehen.
Aber ich kann das auch nicht sagen (das ich überfordert bin), weil mein er ein schlechtes Gewissen hat und keinen mehr, mit dem er reden kann! Dann kriege ich ein schlechtes Gewissen.
Du mußt ja den Kontakt nicht völlig abbrechen. Einfach ein bißchen Auszeit um deinen inneren Konflikt zu sortieren kann schon für euch beide recht hilfreich sein.
Und vielleicht wäre es für euch beide auch eine gute Idee, sich nach professioneller Hilfe umzusehen. Wäre das ein körperliches Problem, dann würdest du ja auch zu einem Facharzt raten.
Wenn du ein solches Gespräch führen solltest, dann hättest du sicher Angst, der andere könnte das als Ablehnung deinerseits fehldeuten. Dann sag es ihm ganz am Anfang des Gesprächs, wieviel er dir bedeutet und wie lange du nachgedacht hast, wie du ihm helfen kannst. Aber daß du dich mit all den Problemen überlädst und fürchtest, sie nicht mehr im Griff zu haben. Daß du ihm rätst sich Hilfe zu holen und ihm in dieser Phase weiterhin beistehen wirst. Aber daß es für dich und ihn, für eure Beziehung einfacher sein wird, wenn die Last auf mehr als nur euren beiden Schultern verteilt wird.
Das ist keine Patentlösung, denn die gibt es nicht. Aber es wäre ein möglicher Ansatz. Wie auch immer: wir hören dir zu!