Vor eineinhalb Jahren war die Aufregung groß. Die gesetzlichen Krankenkassen sollten schnell wirksame, aber teure Insulin-Medikamente bei Altersdiabetes Typ 2 nicht mehr bezahlen. Zehntausende Betroffene und ein ganzer Industriezweig waren empört. An diesem Freitag will das zuständige Gremium von Krankenkassen und Ärzten - der Gemeinsame Bundesausschuss - nun einen ähnlichen Beschluss für Mittel bei Diabetes Typ 1 verkünden. "Wir werden ganz massiv unsere Stimme erheben", warnt Heinz Windisch, Vorsitzender des Deutschen Diabetiker Bunds.
Beim schon in der Jugend auftretenden Diabetes Typ 1 zerstört der Körper die Zellen, die das Insulin produzieren. Schon im Kindesalter müssen tausende Menschen in Deutschland deshalb für jede Mahlzeit Insulin spritzen: Rund 25.000 Menschen unter 20 Jahren leiden an Typ-1-Diabetes, jedes Jahr erkranken rund 2000 Kinder und Jugendliche neu. 200.000 Betroffene gibt es insgesamt. Nun geht es darum, ob die Betroffenen mit herkömmlichem Humaninsulin behandelt werden oder ob die Kassen auch weiter teurere Insulin-Analoga, also synthetisches Insulin, bezahlen. Das wirkt schneller, die Patienten müssen also zwischen der Einnahme des Medikamentes und dem Essen keine größere Pause machen. Analoga sind aber ein Drittel teurer als Normalinsulin.
Ob die Analoga einen wirklichen Zusatznutzen für die Patienten haben, ist von dem von der Pharmaindustrie unabhängigen Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) geprüft worden. Schließlich geht es um das Geld der Beitragszahler. Der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet auf Grundlage des IQWiG- Berichts. Das bei der Industrie ungeliebte IQWiG fand keine Belege für einen Zusatznutzen, der die höheren Kosten rechtfertige. Bei Kindern und Jugendlichen gebe es keine Basis für abschließende Aussagen.
Damit fehlt laut Gesetz die Grundlage für die weitere Verordnung der teureren Mittel. Diabetikerverbände entgegnen empört, die Handhabung von Normalinsulin sei für Erwachsene unbequem und für Kinder eine Zumutung.
"Von Kinderärzten wurde ein Zusatznutzen geltend gemacht", sagt Rainer Hess, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses. Nach einer vorläufig letzten Anhörung wollen die Experten des Gremiums die IQWiG-Empfehlung nun voraussichtlich mit Ausnahmen umsetzen: Zwar sollen die Ärzte die teureren Analogpräparate im Regelfall künftig nicht mehr verordnen. Wenn aber Kinder und Jugendliche sowie Insulinpumpenträger nicht auf Normalinsulin umgestellt werden können, sollen die Betroffenen das künstliche Insulin weiter auf Kassenkosten bekommen. Für Windisch ist das nur "ein erster Schritt".
Nach den Einschränkungen für die Verordnung dieser Mittel bei Altersdiabetes im vergangenen Jahr hat sich die Aufregung mittlerweile wieder gelegt. Als Reaktion auf den Beschluss des Bundesausschusses von 2006 senkten die Pharmahersteller die Kosten, die den Kassen für Analoga entstehen. Die Präparate werden wieder verordnet. Hess: "Wir haben erreicht, was wir erreichen wollten."
Der Fall der Diabetesmedikamente zeigt, was auf Pharmafirmen und Patienten künftig verstärkt zukommen wird. Als Folge der Gesundheitsreform 2007 sollen bei der Bewertung des Zusatznutzens neuer Mittel die Mehrkosten stärker berücksichtigt werden: Neue Arznei darf nur in dem Maße teurer sein, wie sie auch wirkungsvoller ist. Sonst müssen Patienten die Differenz selbst zahlen, auf herkömmliche Mittel ausweichen - oder abwarten, bis die Firmen auf Druck von IQWiG und Bundesausschuss die Preise gesenkt haben.
Von Basil Wegener, dpa
Quelle:
http://www.n-tv.de/920233.html